FORTSETZUNG:
Golem.de: Sie wettern auch gegen World of Warcraft und fordern dafür USK 18.
Pfeiffer: Das erste World of Warcraft ist nicht mehr vergleichbar mit dem heutigen, das exzessive Gewalt zeigt. Ich kann nachvollziehen, dass die USK das erste Spiel - in Unkenntnis seiner Suchtwirkung - als ab zwölf eingestuft hat. Aber in der aktuellen Version werden Menschen getötet, und dann kommt die Aufforderung, Ratten zu fangen, damit diese die Körper abnagen. Es gibt Folterszenen, es werden Splitterbomben eingesetzt. Kleine Schimpansenbabys müssen gefangen und mit Elektroschocks gequält werden, damit sie ihre Mütter herbeirufen, die man dann töten muss. World of Warcraft ist keine Märchenstunde mehr!
Golem.de: World of Warcraft verwendet einen harmlosen Cartoonstil.
Pfeiffer: Ich habe noch nie ein so schönes Spiel gesehen von der Ästhetik her. Wenn man da auf den Schwingen eines Phantasievogels über die Landschaft gleitet... Und es gibt viele humorige Sachen im Spiel. Aber trotzdem USK 18, denn in den Wirkungen ist WoW grauenhaft destruktiv: 35 Prozent der männlichen jugendlichen Spieler nutzen es pro Tag mindestens viereinhalb Stunden. Sie verbringen mehr Zeit mit World of Warcraft als mit Schulunterricht. Da ist das Leben aus der Balance geraten! Zudem sind 9 Prozent der WoW-Nutzer süchtig, nach einschlägigen Indizien wie Kontrollverlust, Entzugserscheinungen, Schlafprobleme. Andere Computerspiele entfalten nicht diese Suchtwirkung - auch aufgrund der intermittierenden Verstärkung von WoW: Belohnungen sind von Glücksfällen abhängig statt nur von der eigenen Leistung, und längere Spieldauer bringt einen höheren Erfolg. Das gefährdet vor allem die "ohnmächtigen" Jugendlichen, weil sie dort endlich Anerkennung bekommen. Die von mir genannten Zahlen stammen aus einer Untersuchung mit 45.000 Jugendlichen, von denen ein Drittel auch zu WoW befragt wurde.
Golem.de: Bringen WoW und vergleichbare Spiele den Jugendlichen nicht Dinge bei wie Hartnäckigkeit in der Zielerreichung oder gemeinsame Aufgabenlösung?
Pfeiffer: Es ist schon richtig, man lernt Pflichtbewusstsein und Pünktlichkeit, man kommuniziert herrschaftsfrei. Das sind Dinge, die auch im Berufs- und sozialen Leben helfen. Aber: Das lernt man auch beim Fußballspielen. Bei WoW gerät man in den Sog des Spiels. Ich weise warnend auf das Beispiel Südkorea hin, wo es 96 Kliniken gibt mit Spezialabteilungen für Computerspielsüchtige, und über 1.000 hauptamtliche Suchtberater nur in diesem Bereich.
Golem.de: In Deutschland gilt eines der weltweit härtesten Altersfreigabesysteme für Computerspiele. Schützen demnach andere Länder ihre Jugendlichen noch schlechter als Deutschland?
Pfeiffer: Uns sagen die amerikanischen Kollegen, dass ihre Kultur noch stärker unter den Computerspielexzessen zu leiden hat als unsere. Weil dort die Selbstkontrolle noch schlechter funktioniert. Ich bin in Kürze im britischen Parlament, um mit den Abgeordneten über Kriminalität zu diskutieren. Während wir einen Rückgang bei den Tötungsdelikten haben, gibt es in England eine dramatische Entwicklung. Ich werde den Abgeordneten sagen, dass ein Faktor dafür auch die medialen Gewaltexzesse sind. Es gibt zudem Schicht- sowie interfamiliäre Faktoren, aber da können wir weniger tun. Bei den Medien können wir etwas tun!
Wir in Deutschland haben den speziellen Nachteil der Halbtagsschulen, das erlaubt benachteiligten Kindern, nachmittags stundenlang im Medienkonsum zu versinken, so dass im Ergebnis deutsche Kinder schlimmer dran sind.
Golem.de: Was hat Sie dazu bewogen, den "Kölner Aufruf" zu unterzeichnen? Dort steht unter anderem: "Games-Konzerne dienen als Teil des militärisch-industriell-medialen Komplexes dazu, mit 'Spielen' die künftigen Soldaten heranzuziehen."
Pfeiffer: Da geht es um die internationale Spieleindustrie. Die amerikanische Armee setzt Spiele gezielt im Training ein. Ich vermute aber nicht, dass es in Deutschland irgendeine Verbindung der Computerspieleindustrie zur Bundeswehr gibt. Nicht jedes Wort in diesem "Kölner Aufruf" finde ich richtig. Die Eltern werden darin in meinen Augen zu sehr entlastet. Aber es war mir nicht möglich, mit meinen Bedenken durchzudringen. Da ich dem Text im Großen und Ganzen zustimmte, habe ich ihn unterzeichnet.
[das Interview führte Jörg Langer, es erschien kürzlich in unserem Partnermagazin IGM.]
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